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Aus: Zeit online von Christian Spiller
Handballtorhüter sind alle verrückt. Das trifft auch auf Andreas Wolff zu. Trotzdem oder gerade deshalb hat er das deutsche Team zum Sensations-Europameister gemacht.
Zwischenzeitlich dachte man, die Spanier würden ganz sicher Protest gegen die Wertung dieses Spiels einlegen.
Die Norweger hatten das nach dem Halbfinale gegen Deutschland auch getan, weil sie in den letzten Sekunden zu viele jubelnde deutsche Spieler auf dem Feld ausmachten. Sie zogen den Protest später zurück, der eigenen Sinnlosigkeit ihres Vorhabens bewusst. Die Spanier aber hatten von Minute zu Minute mehr Grund, zu reklamieren: Sie spielten gegen einen Torwart mit drei Beinen und vier Armen. Mindestens.
Bei genauerem Hinsehen aber löste sich der Protestgrund in Luft auf. Andreas Wolff, der deutsche Handballtorhüter, war doch nur mit einem durchschnittlichen Satz Extremitäten ausgestattet. Was er bei dieser EM und speziell in diesem Finale aber zeigte, war so phänomenal, dass man kaum glauben konnte, es ging mit rechten Dingen zu. Aus der märchenhaften Leistung einer ganzen Mannschaft, die als Außenseiter ins Turnier ging und als furioser Europameister aus dem Turnier kommt, stach Andreas Wolff noch einmal heraus. Im Finale hielt er 50 Prozent der Würfe auf sein Tor. Im Handball ein unglaublicher Wert.
Wo die Spanier auch hinwarfen, Wolff war schon da. Sie spielten gegen eine Wand. Weniger Gegentore als die 17 der Deutschen hat noch nie eine Mannschaft in einem EM-Finale zugelassen. Der Triumph der DHB-Handballer hat also mit der guten Abwehrleistung zu tun und mit trocken-tollen Toren wie die des nachnominierten Kai Häfner, der schon im Halbfinale praktisch von der Couch kommend, wenige Sekunden vor Schluss den Siegtreffer warf.
Die Finalleistung von Wolff aber war noch einmal etwas ganz besonderes. Höhepunkt: Eine unwirkliche Doppelparade in der zweiten Halbzeit, aber da war das Spiel wegen seiner vielen Meisterleistungen schon entschieden. Von den Rängen tönten schon längst "Andy-Wolff"-Sprechchöre, die sich mit einem "Oh, wie ist das schön", abwechselten. "Das ist surreal, was er hier hält", sagte der verletzte Kapitän Uwe Gensheimer. Am Ende schoben die jubelnden Mitspieler ihren Keeper ins eigene Tor. Damit da auch mal was drin war.
Wolff wurde logischerweise ins All-Star-Team des Turniers gewählt und reiht sich ein in eine lange Tradition deutscher Handballtorhüter. Unvergessen Jan Holpert, der allein 476 Bundesliga-Siebenmeter parierte. Oder Henning Fritz, mit dem Deutschland 2007 Weltmeister wurde, der letzte große Triumph der Handballer, das letzte Wintermärchen. Oder Andreas Thiel, den sie "Der Hexer" nannten, wegen seiner widernatürlichen Reflexe.
Handballtorhütern sagt man nach, alle etwas bekloppt zu sein. Sich ohne Handschuhe oder Kopfschutz den nur aus wenigen Metern entfernten bis zu 100 Kilometer pro Stunde schnellen Geschossen in den Weg zu werfen, erfordert schon einen gewissen Grad an Absonderlichkeit. "Ja, wir haben alle irgendwie einen an der Waffel,"sagte Andreas Thiel in diesen Tagen in einem Interview, "aber ich habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass wir im normalen Leben alle eher sensibel und Weicheier sind."
Das traf auch auf Andreas Wolff zu. Zumindest als er klein war. Gerne hat er in den vergangenen Tagen die Geschichte erzählt, warum er eigentlich Handballtorhüter geworden ist. Weil er schüchtern war. Um nicht so nahe bei den großen, lauten Mitspielern zu sein, stellte er sich eben ins Tor. "Ich wollte mit den anderen nicht so viel zu tun haben", sagte er. Irgendwann hat es ihm dann so gut gefallen, "dass ich gar nicht mehr raus wollte".
Kaum zu glauben, dass, der Mann, der im deutschen Tor so aus sich herausgeht, einmal schüchtern gewesen sein soll. Wie er nach einer Parade die Fäuste ballt, wie er das Gesicht zur Grimasse verzieht. Das wirkt so animalisch, dass es natürlich nicht an Wortspielen mit seinem Nachnamen mangelt. "Big bad Wolff", rufen ihn sogar manche Teamkollegen.
Schwierig wird es für Wolff, wenn der Vollmond verschwindet und er sich wieder in einen Menschen zurückverwandeln muss.
Ein #Selfie von Andreas #Wolff! #GERESP #ehfeuro2016 @DHB_Teams pic.twitter.com/YBVsyGGISW
Aber genau dafür haben sie Wolff auch ins Tor gestellt. Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten. Trotz seiner 1,98 Meter und 105 Kilogramm ist er beweglich wie eine Gummipuppe. In manchen Zeitlupen ist es zu erkennen. Da bringt er sein Bein so hoch, dass er sich problemlos mit der großen Zehe im Ohr kratzen könnte. Hinzukommt sein Charakter, sein Selbstbewusstsein, dass sich nicht nur in markigen Sprüchen fernab des Platzes äußert. Er pusht seine Mannschaft, im Handball, einem Sport der Körpersprache, ist das wichtig. Wolff gibt seinem Team Signale, er ist ein Rückhalt, der auch nach vorne prescht.
Das Besondere an Wolffs Triumph: Eigentlich ist er nur als zweiter Torwart in diese EM gestartet. In den ersten Spielen gab der Trainer Dagur Sigurdsson dem erfahrenen Carsten Lichtlein den Vorzug. Bei Handballtorhütern verhält es nämlich wie mit gutem Wein: Je reifer, desto besser. Lichtlein, 35 Jahre alt, der letzte aktive Nationalspieler aus der Weltmeister-Generation 2007, versprach daher mehr als Wolff, 24 Jahre. Überhaupt war die Entscheidung, Wolff mit zum Turnier zu nehmen, nicht unumstritten. Für ihn musste nämlich Silvio Heinevetter zu Hause bleiben, jahrelang die Nummer eins im deutschen Tor. Derzeit aber außer Form.
Viele sehen in Wolff nun einen der besten deutschen Handballtorhüter aller Zeiten heranwachsen. Woran übrigens auch ein Spanier großen Anteil hat. Ein Mann aus jenem Land also, das von Wolff noch ein paar Wochen alpträumen wird. Sein Ex-Verein, die HSG Wetzlar verpflichtet vor zwei Jahren den spanischen Torwart Jose Hembrados. "Das war das größte Geschenk für mich", sagte Wolff in diesen Tagen. "Hembrados hat mir unheimlich viel beigebracht."
Ab der kommenden Spielzeit macht Wolff auch im Verein den nächsten Schritt. Er wechselt zum deutschen Serienmeister THW Kiel. Dort will er sich weiterentwickeln. "Mit den allerbesten messen", wie er sagt. Bei dieser EM hat das schon ziemlich gut geklappt.